Frank Pittman

Warum Söhne ihre Väter brauchen
Der schwierige Weg zur Männlichkeit

Meine subjektive Zusammenfassung

'Wir wissen zwar von Anfang an, daß wir Männer werden sollen, aber das Y-Chromosom kann man nicht sehen. Das einzige sichtbare Zeichen unserer Männlichkeit ist ein kleiner Zipfel, den wir obendrein immer schön versteckt halten sollen.' Wie wird man zum Mann? Warum wird man es? Was kann dabei so alles schief gehen? Was sind die Folgen? Oder konkreter: Was hat es z.B. mit Homophobie, der Angst des vertrauten Umgangs von Männern untereinander auf sich und in welcher Beziehung steht sie zur Homosexualität? (Keine Angst, letzteres ist eher ein Randthema!) Frank Pittman ein amerikanischer Familientherapeut und Psychiater widmet sich diesen und vielen anderen Fragen rund um die Männlichkeit auf seinen kurzweiligen knapp 350 Taschenbuchseiten. Er dokumentiert darin auf locker anschauliche Art seine Erkenntnisse anhand unzähliger, anekdotenhaft widergegebener Beispiele aus seinem privatem Leben, seinem persönlichen Umfeld und seiner Praxis sowie dem gesellschaftlichen kulturellen Output in Form von Spielfilmen und Romanen.

Im ersten Teil widmet er sich der zwanghaften Männlichkeit und deren Repräsentanten, den "Weiberhelden", "Wettkämpfertypen" und "Herrschernaturen", denen jeweils ein eigenes Kapitel spendiert wird. Interessant, dass es sich dabei um keine exotischen Ausnahmen handelt sondern etwas davon irgendwie in wohl jedem Mann drimsteckt. Im zweiten Abschnitt wird der Weg zum Mann thematisiert. Es geht um die Pubertät und ihre Verwirrungen und Verklemmungen, der Trennung von Mutter und Vater, der neuen Gemeinschaft in der 'Bruderschaft der Knaben' und die Suche nach der eigenen Bestimmung, die der Autor in einem Kapitel mit der Überschrift 'Heldenmythen' diskutiert. Wenn man das alles "überstanden" hat, darf man im letzten Abschnitt noch erfahren, was es zum Thema 'Wie man ein Mann ist' zu sagen gibt. Hier wird die Partnerschaft mit einer Frau, das Vatersein und des Mannsein unter Männern, deren Hindernisse und Annehmlichkeiten thematisiert.
Dieses Buch ist genauso witzig wie aufschlussreich, obwohl eine gewisse amerikanische Prägung zu erkennen ist. Ich habe viele Dinge über mich und meine Geschlechtsgenossen erfahren, über die es schwer ist, im Alltag zu sprechen. Aber auch für Frauen ist dieses Buch nicht uninteressant, da es ihnen die Möglichkeit eröffnet, hinter die Kulissen des anderen Geschlechts zu schauen, zu erfahren, warum es gewisse Entgleisungen gibt und sich ein Bild davon zu machen, wie Männer Frauen sehen.

Wenn man ein Fazit nach der Lektüre ziehen kann: Der Mann ist kein gottstellvertretendes Überwesen mehr (was er natürlich nie war, welche Rolle er aber in den zurückliegenden Jahrhunderten gerne verkörperte) und hat etwas Probleme seine neue Bestimmung zu finden. Hat er sie gefunden, kann er und seine Mitmenschen sich freuen, denn er wird seinem wahren Selbst viel näher kommen, als mit einer aufgesetzten Männlichkeitsfassade, die nur ein gesellschaftliches, kollektives Ideal verkörpert aber keine Individualität besitzt. Dann kann er sein, was er ist und nicht das, was man(n) von ihm erwartet. Dass dieses Buch überhaupt geschrieben wurde, ich es gelesen habe und auch einige Ansichten des Autors zeigen, dass die "Geschlechterfrage" alles andere als gelöst ist und dass es nicht einfach nur eine Frage der "Gleichberechtigung" der Frauen ist. Die Lösung wird wohl erst möglich, wenn es "wieder" zur Selbstverständlichkeit wird, dass alles in der Welt, auch die Weiblichkeit und Männlichkeit, nur ein Aspekt dieser einen Welt ist. Dass es keinen Sinn macht diese Aspekte unter einander auszuspielen, sie zu vergleichen sondern dass sie dazu da sind spielerisch gelebt und erlebt zu werden. (Halleluja!). Empfehlenswert für alle die, die -nicht beneidenswerte- Fähigkeit haben, aus der Tatsache ihrer Geschlechtlichkeit ein Problem zu machen und für jene, die damit ein Problem haben, es aber (noch) nicht wissen.

 

Einige Kostproben...

Der Vater eines anderen Jungen war ein paranoider Schizophrener. Er war schon elfmal verheiratet gewesen und hatte seit neuestem einen religösen Dachschaden. Er hielt sich abwechselnd für Gottvater, Abraham und Jesus und kam folglich gelegentlich vorbei, um seinen Sohn zu opfern. Der merkwürdigste von diesen Vätern war ein Berufsringer, der zugleich einen legendären Namen in der Unterwelt hatte. Am sechzehnten Geburtstag seines Sohnes tauchte er auf und schenkte seinem Sprößling ein funkelnagelneues Auto, eine Pistole, einen Totschläger, einen Schlagring und eine Schachtel Pariser: '...alles, was du brauchst, um ein Mann zu sein.' Für meine Freunde hatte ich eindeutig den besten Vater in diesem Teil von Alabama, aber ich wurde trotzdem das Gefühl nicht los, daß mir irgend etwas fehlte.

Abenteurer meiden den Wettbewerb mit den anderen Jungen und messen statt dessen ihre Kräfte in der Auseinandersetzung mit der Natur, der Gesellschaft oder ganz allgemein der Wirklichkeit. Die Abenteuersuche kann jedoch ein so einsames und antisoziales Unterfangen werden, daß dem Abenteurer etwas völlig entgeht, in dessen Genuß andere Männer kommen, die zusammenarbeiten: das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer brüderlichen Gemeinschaft. Das Leben wird gefährlich , und die Zeit wird knapp, wenn ein Mann nicht schon beim Heranwachsen erfahren hat, daß er über genügend Männlichkeit verfügt, und sich dieses Gefühl statt dessen nachträglich mit großem Aufwand verschaffen muß. Oder wie Bilbo Baggins in 'The Hobbit' klagte: 'Abenteuer führen leicht dazu, daß man zu spät bei Tisch erscheint.'

Jungen müssen ihre Selbstzweifel und die Unzulänglichkeiten ihrer Männlichkeit zeigen dürfen, sie müssen bei ihren Geschlechtsgenossen Trost und Verständnis finden können. Wo das nicht der Fall ist, ist die Fürsorge für ihre Männlichkeit in vollem Umfang Frauen anvertraut, aber es ist völlig ausgeschlossen, daß Frauen dem Problem gerecht werden können.
Unsere wirren, von Panik gekennzeichneten und wissenschaftlich unzutreffenden Theorien über Homosexualität schaffen grausame Problem für jene Männer, die ein homosexuelles Leben führen, aber auch für die große heterosexuelle Mehrheit. Die meisten 'normalen' Männer leben, völlig unabhängig davon, ob sie die typische sexuelle Verwirrung und Verunsicherung der Halbwüchsigen durchlebt haben oder nicht, in der Furcht´, Homosexualität in sich zu tragen oder sich damit 'anzustecken'. Das macht es ihnen unmöglich, das dringend nötige vertraute Verhältnis zueinander zu finden.

Wir Männer sind nach dem Erwachsenwerden orientierungslos und wissen nicht, wem wir uns anvertrauen können. Das ist ein trauriges und überflüssiges Kapitel. Wie so manches, was im Leben der Männer schiefgeht, ist auch das ein direktes Resultat einer übertriebenen Männlichkeitserziehung in Kindheit und Jugend und außerdem die Folge des Fehlens von Männern, die mit ihrer Männlichkeit zurechtkommen und als Vorbild taugen.
Erinnern wir uns noch daran, wie nahe wir uns damals unseren Kumpeln fühlten, als wir miteinander groß wurden und feststellten, daß die anderen die gleichen erschreckenden und erregenden Dinge erlebten, die uns widerfuhren? Daran hat sich nichts geändert. Wir haben nur aufgehört, darüber zu reden. Wenn wir uns öffnen, sei es nun trommelschlagend im Wald mit Robert Bly, angelnd im Boot auf einem See oder beim Verlassen des Arbeitsplatzes draußen auf dem Parkplatz- wir könnten erneut diese vertraute Nähe in uns spüren, und die Welt samt unserem Platz darin könnte wieder einen Sinn bekommen.

Männerfreundschaften sind anders als Freundschaften zwischen Frauen: Männer suchen nicht so sehr Vertraute als vielmehr Spielkameraden. Meistens brauchen Männerfreundschaften auch nicht so zu sein wie Freundschaften zwischen Frauen. Als Männer dürfen wir getrost davon ausgehen, daß wir alle den gleichen dornenvollen Weg hinter uns haben und daß sich unsere Einstellung zu den meisten Dingen sehr ähnelt. Zusammensein zu können, ohne viel darüber reden zu müssen, ist eine wunderbare Sache. Manchmal bin ich geneigt zu glauben, daß Männer sich überhaupt nicht unterhalten würden, wenn sie nicht mit Frauen reden müßten: Sie würden wahrscheinlich ein Leben lang nur schmutzige Witze erzählen und die letzten Fußballergebnisse austauschen. Aber manchmal muß auch ein Mann etwas loswerden, etwas mit einem anderen Mann besprechen, und es kann sehr wohl sein, daß es dann niemand gibt, an den er sich wenden kann. Männlichkeit ist manchmal ein einsamer Sport.

Wenn ein Mann ein Held werden will, muß er sich auf Abenteuerfahrt begeben. Die Helden des Altertums waren viel unterwegs: Odysseus umrundete das Mittelmeer, Orpheus stieg in die Unterwelt hinab und Jonas reiste im Bauch eines Fisches. In unseren Tagen des dichten Berufsverkehrs und des internationalen Tourismus ist das Reisen als Teil des Abenteuers vielleicht überholt. Die moderne Arena heroischer Abenteuer ist 'der Bereich des Unbewußten, den wir in unseren Träumen zögernd erforschen..., wo in uns wohnende Ungeheuer erschreckend reale Formen annehmen, wo auch unsere verborgensten Wünsche manchmal Erfüllung finden'. So Davis Abrams Leeming in seinem Buch 'The World of Myth' (Die Welt der Mythen). Auch eine Psychotherapie kann ein solches Abenteuer sein, wie beispielsweise für Tom Wingo in 'Der Herr der Gezeiten'.

Der Held muß seinen Weg zwar alleine, aber nicht in Einsamkeit gehen. Joseph Campbell schreibt in 'The Power of Myth' (Die Macht des Mythos): 'Selbst im Wagnis des Abenteuers sind wir nicht allein, sind uns doch die Helden aller Zeiten vorangeschritten. Das Labyrinth ist durch und durch bekannt. Wir müssen nur dem Faden folgen, der entlang des Pfades der Helden gespannt ist. Wo wir Greuel vermuten, werden wir einen Gott finden. Wo wir dachten, uns gegenseitig töten zu müssen, werden wir uns selbst abzutöten haben. Wo wir meinten, die Reise werde uns nach draußen führen, werden wir zum Zentrum unseres Wesens gelangen. Und wo wir glaubten alleine zu sein, wird sich die ganze Welt einfinden.'

F. Scott Fitzgerald hat einmal gesagt: 'Zeige mir einen Helden, und ich schreibe dir eine Tragödie.' Ich brauche Helden, aber ich muß nicht selber einer sein. Ich weiß, daß das Leben eines Helden von etwas Tragischem umgeben ist. Ich für meinen Teil habe mich entschlossen, darauf zu verzichten. Für den Rest meiner Laufbahn würde ich mit Männern arbeiten, die unter ihrer Sehnsucht nach Heldentum zu leiden hatten.

In unserer Heldenauswahl zeichnet sich ein beunruhigender Trend ab... Das Aufbegehren unserer jugendlichen Helden wird immer destruktiver und zieht sich mittlerweile weit ins Erwachsenenalter hinein. Unsere Machohelden sind immer lebensferner geworden; es sind phantastisch überzeichnete Charaktere, die eine kindische Vorstellung von Männlichkeit ausleben. Es ist ganz klar, daß die Jungen, die sich diese Helden zum Vorbild nehmen, unmöglich wissen können, was es mit Männlichkeit wirklich auf sich hat. Sie mißverstehen die karikaturhaften Actionhelden und notorisch unreifen Jugendlichen als Richtschnur und denken nicht daran, den von Männern in das Familienleben investierten Heroismus zu bewundern oder gar nachzuahmen.

In...'Heroism, Men and Marriage'...Gus Napier...:'Ich bin überzeugt, daß die Reise des modernen Helden nach Innen führen muß in die oft angstauslösende Welt des Unbewußten, wo der Charakter eines jeden Menschen seine endgültige Ausformung erfährt und wo eine Änderung der Lebensführung dieses Menschen ansetzen muß...Denjenigen unter uns, die sich mit der Therapie von Männern beschäftigen, ist der enorme Widerstand vertraut, den Männer gegen die Wahrnehmung ihres inneren Selbst aufbauen. Oftmals muß dieser Widerstand gewaltsam gebrochen werden, oder die ganze Reise ist blockiert... Der Problematik dieser Männer ist etwas gemeinsam: eine alles durchdringende Selbstbezogenheit, ein gebieterischer Narzißmus (der in unserer Kultur mit Nachsicht rechnen kann) oder ein Narzißmus aus Not (der aus der Kindheit herrührt). All das zusammen macht es für diese Männer mindestens so schwer, emotionale Zuwendung zu geben, wie es in der Vergangenheit für die Frauen schwer gewesen ist, sich Selbstbewußtsein und Selbstwertschätzung anzueignen. In der Überwindung des männlichen Narzißmus dürfte die größte Herausforderung für das neue männliche Ideal liegen; und in der Tat stellt auch Campbell fest, daß die Bereitschaft, über das Selbstinteresse hinauszugehen - in einem Akt, den er >Selbstdisziplinierung< nennt-, das Kennzeichen des modernen Helden ist.'

Unsichere Männer befürchten oft, durch eheliche Gleichstellung unter den Pantoffel zu geraten und ihre fragile Männlichkeit einzubüßen. Sie stellen in eigener Regie der Gleichheit Hindernisse in den Weg. Eine der beliebtesten davon ist Untreue gegenüber der Partnerin. Untreue ist weit mehr, als mit einer anderen Frau zu schlafen, auch mehr als lediglich der Bruch der ehelichem sexuellen Übereinkunft. Es ist ein Machtspiel, ein Bemühen, etwas zu bekommen oder zu erfahren, das dem Partner vorenthalten bleibt. Die Geheimnistuerei um eine Affäre zerstört die Gleichheit in der Ehe und richtet damit mehr Schaden an als der sexuelle Seitensprung selbst. Der Schaden aber wird umso größer, je länger die Geheimnistuerei dauert...Männer gehen nicht deshalb fremd, weil ihre Ehe nicht funktioniert - das kann zwar auch der Fall sein, aber es ist nicht die Ursache der Untreue. Sie gehen fremd, weil sie sich ihrer Männlichkeit nicht sicher sind. Die Wurzeln der Untreue liegen in einem gestörten Verhältnis des Mannes zu seinem Vater, nicht in einem gestörten Verhätnis zur Partnerin... Es geht nicht darum, daß ihn seine Frau nicht verstehen würde; das Problem für ihn ist im Gegenteil, daß sie ihn sehr wohl versteht. Er braucht die Zuflucht zu einer Person, die ihn immer noch für den Größten hält...Die Untreue wird an ihm nagen und die Intimität seiner Partnerschaft zerstören. Wenn er sich zur Wahrheit bekennt, gibt es die Chance das Durcheinander zu bereinigen, und das Paar kann wieder einen gemeinsamen Nenner finden. Eine gleichberechtigte Partnerschaft vermag mit praktisch allen Knüppeln fertig zu werden, die ihr die Welt in die Speichen wirft, sogar mit Untreue, aber Unaufrichtigkeit kann sie kaum überleben.

Depression ist nicht mit Traurigkeit zu verwechseln. Es handelt sich um eine chemische Veränderung im Gehirn, die zur Folge hat, daß den Betroffenen das Vertrauen abhanden kommt, die Dinge könnten sich auch zum Guten wenden. Depressionen können ausgelöst werden durch chronische Schmerzzustände oder täglichen Alkoholgenuß, durch einen erlittenen Verlust oder durch ererbte Disposition. Bei Männern rangiert als Auslöser das Gefühl, nicht der Mann zu sein, der man eigentlich sein sollte, ganz oben.In dieser Situation machen sich Männer unablässig selbst fertig und können zudem kein Vertrauen fassen, wenn ihnen Liebe entgegengebracht wird oder wenn sie freundliche Gesten erfahren. In den im Hirn ablaufenden chemischen Prozessen wird fortwährend mehr Unlust als Lust registriert.

 

letzte Änderung: Dezember 2001